Südafrika 1960: Das Massaker von Sharpeville

Mitte des vergangenen Jahrhunderts protestierten schwarze Südafrikaner immer wieder dagegen, dass sie durch Gesetze der weißen Regierung ihres Landes gezwungen wurden, jederzeit, an einem Halsband sichtbar, einen Beutel mit sich zu führen, in dem sich ihr Pass befand. Dieses „Beweisbuch“ gab nicht nur Auskünfte über Identität und Beschäftigungsbiografie ihrer Inhaber. Es sollte vor allem die Freizügigkeit der Schwarzen einschränken und damit ihre Verfügbarkeit an den ihnen von Weißen zugedachten Arbeitsplätzen sicherstellen, z.B. in den Gold- und Diamantenminen. Auch sollte es dafür sorgen, dass sie sich nicht ohne Erlaubnis in den für Weiße vorbehaltener Gebieten aufhielten. Infolge der Passgesetze waren Schwarze permanent der Kontrolle, der Demütigung, ja, der Dehumanisierung durch ihre Unterdrücker ausgesetzt. Wer den Passgesetzen zuwiderhandelte, wurde inhaftiert. Als einige Tausend von ihnen vor 60 Jahren am 21.März demonstrativ ohne Pass – sie legten es darauf an, verhaftet zu werden - vor einer Polizeidienststelle in Sharpeville erschienen, um ihrem Unmut darüber Ausdruck zu verleihen, eröffneten „Sicherheitskräfte“ von den Dächern der umliegenden Häuser das Feuer auf sie. Zwei Drittel der Opfer, darunter auch Frauen und Kinder, wurden durch Schüsse in den Rücken getötet. Insgesamt verloren 69 Menschen ihr Leben, mindestens 180 wurden verletzt. Mit dieser Gräueltat begann der Anfang vom Ende des Apartheidregimes in Südafrika. Denn sie war für den UN-Sicherheitsrat der Anlass, von der südafrikanischen Regierung zum ersten Mal zu verlangen, die Politik der Rassentrennung zu beenden. Danach wurde Südafrika von der Weltgemeinschaft politisch, aber vor allem auch ökonomisch mehr und mehr unter Druck gesetzt.

 

Das Massaker von Sharpeville löste erhebliche Unruhen im ganzen Land aus. Als Reaktion verbot die Regierung den African National Congress (ANC) sowie den Pan Africanist Congress (PAC). Das führte dazu, dass deren Aktivisten begannen, den gewaltsamen Widerstand zu beginnen. Einer von ihnen war Nelson Mandela. Als erster schwarzer Präsident Südafrikas unterschrieb dieser am 10. Dezember 1996 in Sharpeville die neue Verfassung. Seit 1966 wird der 21. März als Internationaler Tag gegen Rassismus gewürdigt. Angesichts dieser Geschichte von Sharpeville ist leicht nachzuvollziehen, welche emblematische Bedeutung diesem Ort im kollektiven Gedächtnis Südafrikas zukommt.

 

In einem ZEIT-Artikel anlässlich des Massakers ließ unlängst Fabian Sickenberger zwei Bewohner von Sharpeville zu Wort kommen: Zunächst eine inzwischen 83jährige Zeitzeugin, die heute noch ihre Wut darüber mit sich herumträgt, dass sich bis jetzt niemand weder für ihre damaligen Verletzungen und Misshandlungen von Körper und Seele noch für ihre Inhaftierung noch für ihre jahrelange Unterdrückung in der Zeit nach 1960 bei ihr entschuldigt hat. Und schon gar nicht wurde sie dafür irgendwie entschädigt. Weder die Regierung der Weißen noch die der Schwarzen zeigten sich dafür zuständig.

 

Südafrikas Problem ist, dass diese Frau und die anderen Opfer von Sharpeville in diesem Land keine Einzelfälle sind, sondern dass dort viele Hunderttausende mittelbar oder unmittelbar Erfahrungen dieser Art erleben mussten und heute noch darunter leiden. Fabian Sickenbergers zweiter Gesprächsteilnehmer war ein Unternehmer aus Sharpeville, der mit einem deutschen Start-up als Zulieferer Elektro-Lastenräder montiert. Er kann dort zwar einigen wenigen Menschen Einkommen verschaffen und deshalb auch Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Aber angesichts der Tatsache, dass sich für die allermeisten Menschen in Sharpeville seit dem Ende der Apartheid materiell nur wenig verbessert hat, ist seine Initiative allenfalls der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein. Statt inzwischen in einer Stadt zu wohnen, die diese Bezeichnung verdient, überleben sie weiterhin in Slums. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 60 Prozent; viele Jugendliche haben Drogenprobleme, auch mangels einer positiven Perspektive für ihr Leben. Ihnen fehlt es an Selbstbewusstsein. Zu einer inneren Freiheit haben sie nach dem Ende der Apartheid ebenso wenig finden können wie ihre Eltern und Großeltern. Wie denn auch – wenn die Mehrheit von ihnen von Transferleistungen (über)lebt und bestenfalls gelegentlich von humanitär gedachten Projekten profitiert, die kaum zu nachhaltigen Verbesserungen führt!

 

Der Graben zwischen Armen und Reichen hat sich weiter vertieft

 

Auch das, was der Unternehmer in seiner Heimatstadt erlebt, wirft – 26 Jahre nach Mandelas Übernahme der Präsidentschaft umfangein bezeichnendes Licht auf die Situation der allermeisten Schwarzen in ganz Südafrika. Thomas Piketty stellt in Capital et Idéologie (2019) fest, dass der ANC „niemals eine Politik der Umverteilung von Wohlstand in Angriff genommen hat“, sodass der Abstand zwischen den obersten 10 % der Einkommensbezieher und dem Rest der Bevölkerung seit dem Ende der Apartheid sogar noch gestiegen ist . Laut Deutschlandfunk ist in dieser Zeit der Anteil des Farmlandes, der sich im Eigentum der Weißen befindet - sie stellen nur rund 9 % der Bevölkerung - von 80 % auf gerade einmal 72 % gesunken; dabei müsse noch berücksichtigt werden, dass im Zuge der „Landreform“ von 1997 ein nicht unerheblicher Teil des an Schwarze überschriebenen Landes auf dubiose Weise bei Mitgliedern des ANC gelandet ist. Kann man sich dann noch über die Wut der Armen und Landlosen auf die reichen Weißen wundern, aber inzwischen auch auf die korrupten schwarzen Führer vom ANC? Und trotzdem wurde der ANC in der Wahl von 2019 mit einer satten absoluten Mehrheit der Stimmen bestätigt.

 

Der letzte Wahlkampf wurde denn auch vom Thema der entschädigungslosen Enteignung der weißen Grundbesitzer bestimmt, mit der eine Gerechtigkeitslücke im Land geschlossen werden sollte. Präsident Cyril Ramaphosa hatte das Thema, das ihm von Teilen der Opposition, aber auch des ANC aufgedrängt wurde, zwar in seinen Wahlkampf übernommen. Aber nur wenige Beobachter der südafrikanischen Politik rechnen heute noch damit, dass er eine Landreform durchführen wird, die diesen Namen verdient, und schon gar nicht eine, die auf der Grundlage einer entschädigungslosen Enteignung weißer Farmer durchgeführt wird. Zu groß ist die Furcht vor Verhältnissen wie denen in Simbabwe: Aus der Kornkammer Afrikas wurde dort nach der Vertreibung der weißen Farmer durch die Regierung Mugabe ein Armenhaus.

 

Ein Blick in die Geschichte: Sklavenhalter statt Sklaven wurden entschädigt

 

Dass Pläne zur Enteignung von Weißen, zumal ohne Entschädigung, bei den davon Betroffenen keine Begeisterung auslösen, wundert niemanden. Sind sie doch mehrheitlich der Meinung, sie hätten vor langer Zeit ein Land in Besitz genommen, das keinem gehörte, und es zu dem gemacht, was es heute ist, nämlich indem sie es nutzbar gemacht und bearbeitet haben. Zumindest die Valorisierung wird auch von vielen schwarzen Südafrikanern anerkannt. Eigentum als Institution und als Ausdruck von Freiheit spielt im westlichen Denken eine überragende Rolle. Es in Frage zu stellen, stellt nicht nur für Philosophen und Juristen eine extreme Herausforder ung dar, sondern vor allem auch für diejenigen, die darüber in nennenswertem Umfang verfügen oder auch nur eine Chance sehen, dies zu verwirklichen. Eine Ahnung davon, wie schwer es sein wird, in der Frage des Eigentums an Grund und Boden zu einer Einigung zu gelangen, kann uns ein Blick in die Geschichte vermitteln:

 

Anlässlich der Befreiung der Sklaven im 19. Jahrhundert in Frankreich, USA oder dem Vereinigten Königreich wurden nicht etwa die Opfer für das erlittene Unrecht entschädigt, sondern die Sklavenhalter. Denn diese hatten, so die Lesart damals, das Eigentum an Menschen ja schließlich rechtmäßig erworben; und ein Verzicht auf Entschädigung der befreiten Sklaven wäre ohnehin kein Thema, weil diese doch die eigentlichen Nutznießer ihrer Befreiung waren. Diese zynische Denkart betraf versklavte Individuen und Staaten gleichermaßen. So weist Piketty darauf hin, dass der Status von Haiti, das 1804 nach mehreren Sklavenaufständen seine Unabhängigkeit von Frankreich erklärt hatte, 1825 schließlich durch Charles X. zwar anerkannt wurde. Allerdings musste der Inselstaat eine Schuld von 150 Millionen Goldfrancs akzeptieren, damit Sklavenbesitzer für den Eigentumsverlust entschädigt werden konnten. Die Schulden von 1825 wurden erst zu Beginn der 1950er Jahre offiziell getilgt (S 281ff).

 

Es wäre auch heute sicher kaum verwunderlich, wenn Eigentum als Institution von der Mehrheit der politischen Entscheider in Südafrika über alle moralischen Bedenken hinweg gefeiert und mit äußersten Mitteln verteidigt wird. Und wenn es „nur“ darum geht, irgendwelchen Anfängen zu wehren oder dem Druck ausländischer Kapitalgeber auszuweichen - Donald Trump hat schon entsprechend gedroht, und auch der IWF steht schon in den Startlöchern. Unstrittig dürfte allerdings selbst bei der Mehrheit der ehemaligen weißen Herren Südafrikas bleiben, dass diese dort im Laufe ihrer langen Herrschaft, vor allem aber auch noch in den letzten hundert Jahren, eine enorme moralische Schuld auf sich geladen haben, die bis in die Gegenwart hineinreicht und nach Ausgleich verlangt:

 

Schwarze Menschen in Südafrika haben über Jahrhunderte durch Kolonialismus und Apartheid nicht nur viel Land verloren; mindestens bis in die 1990er Jahre wurden sie von Weißen in extremer Weise ausgebeutet, gedemütigt und seelisch deformiert; ihnen wurden Bildung vorenthalten und dadurch auch Chancen verwehrt, Einkommen sowie Vermögen und mithin gesellschaftlichen Status zu erhöhen. All das hat ihrem Selbstbewusstsein, das für die Verwirklichung eines Lebens in Würde so wichtig ist, mit Sicherheit erheblichen Schaden zugefügt.

 

Erst Buße macht Versöhnung möglich

 

An dieser Stelle mag mancher südafrikanische Weiße einwenden, dass es für die Vergebung von Schuld bereits die Wahrheitsund Versöhnungskommissionen gab. Sie sollten dazu führen, dass schwarze Opfer ihren weißen Tätern verzeihen und dadurch eine „Regenbogennation“ ermöglichen. Wie aber bereits Wole Soyinka, der Literaturnobelpreisträger, zu Beginn unseres Jahrtausends in seinem Buch Die Last des Erinnerns sehr klar zu bedenken gab: Wahrheit allein führt nicht zur Versöhnung; dazu bedarf es der echten Reue der Täter und Verantwortlichen für die Verletzung der grundlegenden Menschenrechte im Südafrika der Apartheid. Soyinka macht hingegen geltend, dass er während des intensiven Studiums umfangein reichen Filmmaterials zu den Verhandlungen der südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommissionen in Haltung, Gestik, Mimik und oft nicht einmal in den Worten schlimmster Sadisten, die ihre Taten „bereuten“, erkennen konnte, dass ihre Reue ehrlich war, sondern dass sie vielmehr aus Kalkül „eine öffentliche Maske der Reumütigkeit“ anlegten“. Voraussetzung dafür, dass eine Gesellschaft durch Vergebung Heilung erfahren kann, müsse jedoch sein, dass Übeltäter irgendwie geläutert aus dem Prozess hervorgehen. Ansonsten könne es passieren, dass sie Vergebung lediglich als einen Akt der Schwäche des Opfers empfinden. Was die Opfer beleidigen und die Gesellschaft auf lange Sicht sprengen könne, statt sie zu befrieden.

 

Doch nicht einmal Reue allein kann im Falle schwerster Verfehlungen, wie sie von Weißen in Südafrika noch bis zur Übergabe der Macht an die Regierung Nelson Mandelas in großem Stil begangen wurden, zur Versöhnung von Opfern und Tätern führen. Dazu bedarf es, so Soyinka, der Buße. Die aber äußert sich nicht nur in symbolischen Handlungen – der Kniefall Willy Brandts am Ehrenmal für die Toten des Warschauer Ghettos im Jahre 1970 war z.B. eine solche beispielgebende Handlung – sondern sie sollte sich auch in materieller Entschädigung für erlittenes Unrecht zeigen.

 

Vor allem dann, wenn die Opfer in materieller Hinsicht weiterhin erheblich unter den Folgen der an ihnen verübten Verbrechen zu leiden haben. Eine solche Ethik der Entschädigung wird im Übrigen weltweit in philosophischen und religiösen Traditionen – auch in afrikanischen Mythologien – anerkannt. Soyinka aber musste feststellen, dass keiner der Übeltäter, die vor den Wahrheits- und Versöhnungskommissionen erschienen, auch nur erkennen ließ, dass er gewillt war, von den materiellen Vorteilen, die er durch seine Verfehlungen erreicht hatte, etwas an die Opfer oder ihre Vertreter oder die Ges e l l s c h a f t z u r ü c k z u g e b e n . Dabei wäre genau das nötig gewesen, um Südafrika zu heilen und damit eine tragfähige gesellschaftliche Ordnung wiederherzustellen, der sich Bürger, schwarze wie weiße gleichermaßen, zugehörig fühlen können.

 

Diese Zugehörigkeit wäre der Klebstoff, der die Bürger der damit erst noch zu schaffenden Regenbogengesellschaft verbinden könnte. Und Voraussetzung dafür ist nun mal, dass die Mitglieder dieser Gesellschaft bestimmte grundlegende Werte und Verhaltensweisen nicht nur theoretisch teilen, sondern sie auch sichtbar leben. Recht und Gerechtigkeit stehen dabei ganz oben in der Wertehierarchie.

 

Wenn es aber zu einer gelingenden Befriedung einer Gesellschaft gehört, dass sich Täter zu ihrer Verantwortung für zugefügtes Unrecht bekennen, dann wäre es in Südafrika ein Signal an die Opfer mit erheblichem Versöhnungspotential, wenn die Gesamtheit der Profiteure der Apartheid, die vermögenden Weißen bzw. deren Vertreter, von sich aus ihre Bereitschaft bekundeten, begangenes Unrecht auch materiell auszugleichen. Täter aber, die dazu nicht bereit sind, müssten dann eben, so Soyinka, zu dieser Art von Wiedergutmachung gezwungen werden. Selbst wenn dies ethisch geboten wäre, bleibt jedoch festzuhalten: Die materielle Entschädigung verlöre erheblich an gesellschaftlicher Bindekraft, wenn die Täter sie sich nur unter Zwang, z.B. über Enteignungen, Vermögensabgaben oder progressive Steuern, abpressen ließen.

 

Wiedergutmachung - eine Investition in die Zukunft

 

 

Es gibt in Südafrika mit Umati ein Mentorenprogramm, das von weißen Farmern für schwarze Farmer betrieben wird, damit diese erfolgreich wirtschaften und also eine positive Lebensperspektive für sich und ihre Community entwickeln können. Solche privaten Partnerschaften sind schon deswegen zu begrüßen, weil sie einen Rahmen bieten, in dem neben Empowerment auch wertvolle menschliche Begegnungen und Empathie der Beteiligten füreinander ermöglicht werden. Außerdem erlauben sie es, Ressourcen, Geld eingeschlossen, sehr gezielt und wirksam einzusetzen. Allerdings können sie einen gesamtgesellschaftlich notwendigen materiellen Ausgleich nicht ersetzen, der doch in einer angemessenen Relation zum Ausmaß des angerichteten Schadens stehen sollte. Anders gesagt: Der materielle Ausgleich sollte Profiteure des in Südafrika von Weißen begangenen Unrechts, namentlich der Apartheid, auch spürbar belasten, wenn er seinen Zweck erfüllen soll.

 

Solche Überlegungen zur Wiedergutmachung sollten selbstverständlich ebenfalls für Schwarze gelten, die in Südafrika von erheblichem Unrecht profitiert haben. Auch für hochgradige Verfehlungen, die erst nach dem Ende der Apartheid zum Schaden der Bevölkerung Südafrikas begangen wurden! Kleptokraten wie Jacob Zuma seien hier genannt, der bereits dafür angeklagt wird, dass er Hunderte von Millionen US-Dollars durch Betrug und Korruption für sich vereinnahmt hat, und sich nebenbei zu exkulpieren sucht mit dem Hinweis, dass Korruption eben „Teil der afrikanischen Kultur“ sei. Auch die bereits erwähnten ANC-Verantwortlichen, die im Zuge der Überschreibungen von Landbesitz im Verlauf einer „Landreform“ vor allem an sich selbst gedacht haben, sind in diesem Zusammenhang zu nennen. Oder der König der Zulus, der sich laut Deutschlandfunk noch kurz vor Mandelas Wahl zum Präsidenten dem von ihm dominierten Ingonyama Trust drei Millionen Hektar Land überschreiben ließ, sich seitdem aber weigert, seine Untertanen an den Erträgen daraus angemessen zu beteiligen, ja sogar heute, zusammen mit rechtspopulistischen Weißen, gegen eine Landreform kämpft und noch 2018 dem Präsidenten Südafrikas mit Krieg für den Fall gedroht hat, dass es zur Enteignung kommt.

 

Chinua Achebe, der weltweit verehrte „Vater der afrikanischen Literatur“ und weise Humanist, hat einmal festgestellt, dass Privilegien dazu neigen sich „wie eine dicke Fettschicht auf unser Einfühlungsvermögen“ zu legen.“ Wenn aber die Profiteure von Unrecht – egal, ob weißer oder schwarzer Hautfarbe - weiterhin für die Folgen ihres Fehlverhaltens so unempfindlich bleiben wie bisher, dann könnte es passieren, dass die bornfrees und radikalere Schwarze sich auf eine Weise der Probleme annehmen, die von den eingangs zitierten Menschen in Sharpeville immer noch beklagt werden. Das jedoch würde dem Land und vor allem seinen privilegierten Bürgern sicher nicht gut bekommen. Namentlich die oft zitierte Urangst der Weißen vor der Rache der Armen und der swart gevaar könnte weitere Nahrung erhalten und ihnen das Leben in Südafrika verleiden.

 

Wenn es in Südafrika aber wider Erwarten doch noch zu einer Wiedergutmachung für die Opfer der Profiteure käme, könnte ein Problem entstehen, das wir schon von der Entwicklungshilfe im Subsahara–Afrika kennen: Ratlosigkeit angesichts der Frage, wie man sicherstellen kann, dass die Entschädigung bei den Opfern auch ankommt. Denn es ist kaum zu vermuten, dass mit dem Abgang von Jacob Zuma die Veruntreuung von Geldern in den Ministerien Südafrikas ein Ende gefunden hat.

 

Doch erlauben wir uns abschließend einmal, neben unserem Wirklichkeitssinn unseren Möglichkeitssinn (Robert Musil) zu schärfen …indem wir träumen, wie es Südafrika gelingt, die Regenbogenfarben der Nation zum Leuchten zu bringen: Das Land schafft es, seine Profiteure von vormals begangenem Unrecht davon zu überzeugen, dass sie freiwillig ihren Teil dazu beitragen, die von ihnen verantworteten Probleme ebenso zu lösen wie das der gerechten Allokation von Entschädigungen. In diesem Fall könnte von Südafrika ein machtvoller Impuls für die Befriedung auch anderer afrikanischer Gesellschaften ausgehen, und zwar aus deren Inneren heraus. Was mit Sicherheit das wirtschaftliche Wohlergehen des gesamten Kontinents erheblich befördern würde.

 

Wiedergutmachung könnte sich dann als eine renditeträchtige Investition in die Zukunft Südafrikas und Subsaharas insgesamt erweisen. Wäre allein diese Aussicht nicht schon Grund genug, unabweisbare moralische Schulden zu begleichen? 

 

Rainer Gruszczynski

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Südafrika 1960: Das Massaker von Sharpeville
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